Aktivierende Pflege

Isabell Jungesblut

Aktivierende Pflege

Isabell Jungesblut
Wenn ein geliebter Mensch Pflege benötigt, bedeutet das für Angehörige oft eine große Umstellung. Plötzlich stehen neue Aufgaben und Herausforderungen im Alltag an. Umso wichtiger ist es, die Pflege so zu gestalten, dass sowohl die pflegebedürftige Person als auch Sie selbst bestmöglich unterstützt werden.
Aktivierende Pflege setzt genau hier an: Sie hilft dabei, vorhandene Fähigkeiten zu erhalten und die Selbstständigkeit Ihrer Angehörigen zu fördern. Das bedeutet, pflegebedürftige Menschen so einzubeziehen, dass sie aktiv mitwirken können – angepasst an ihre individuellen Möglichkeiten.
Das Ziel ist, die körperliche, geistige und emotionale Stärke der pflegebedürftigen Person zu unterstützen. Anstatt, dass Sie Aufgaben vollständig übernehmen, können Sie beispielsweise beim Waschen, Anziehen oder Essen motivieren und anleiten - so, dass die pflegebedürftige Person noch recht viel selbst übernehmen kann. Dadurch bleibt nicht nur der Alltag vertraut, sondern auch das Selbstwertgefühl der pflegebedürftigen Person erhalten.
Durch die aktivierende Pflege tragen Sie dazu bei, wichtige Fähigkeiten Ihrer Herzensmenschen so lange wie möglich aufrechtzuerhalten.

Was die aktivierende Pflege erreichen möchte

Seniorin mit Hund: Bei der aktivierenden Pflege geht es darum, die Selbständigkeit möglichst lange zu erhalten
Aktivierende Pflege ist eine Pflegeform, die den pflegebedürftigen Menschen in den Mittelpunkt stellt. Sie verfolgt dabei unterschiedliche Ziele, die Ihnen im Folgenden näher erläutert werden. 

  • Erhalt und Förderung der Selbstständigkeit:
Pflegebedürftige sollen so viele alltägliche Aufgaben wie möglich selbstständig ausführen oder zumindest aktiv mitwirken. Zu diesen Aufgaben gehören beispielsweise die Mobilität, Körperpflege, Nahrungsaufnahme und auch einfache Tätigkeiten im Haushalt.

  • Stärkung körperlicher und geistiger Fähigkeiten:
Durch die aktivierende Pflege werden gezielt Maßnahmen ergriffen, um die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen wiederherzustellen oder zu erhalten und ihnen ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
 
  • Verbesserung der Lebensqualität:
Die aktivierende Pflege zielt darauf ab, das Maß an Selbstständigkeit zu erhöhen, was zu einer höheren Lebensqualität und mehr Lebensfreude führt. 

  • Selbstvertrauen und Motivation fördern:
Durch die aktivierende Pflege erleben Pflegebedürftige Erfolge bei alltäglichen Tätigkeiten, was ihr Selbstvertrauen stärkt und sie motiviert, weitere Fähigkeiten zurückzugewinnen.

  • Unterstützung im Umgang mit gesundheitlichen Einschränkungen:
Pflegebedürftige lernen durch diese Pflegeform besser mit den Anforderungen und Belastungen im Rahmen ihrer gesundheitlichen Einschränkungen umzugehen.

Das sollten Sie bei der aktivierenden Pflege beachten

1. Ressourcenorientierung: Achten Sie darauf, die noch vorhandenen Fähigkeiten der pflegebedürftigen Person zu erkennen und gezielt zu fördern, auch wenn diese durch Krankheit oder Alter eingeschränkt sind. Konzentrieren Sie sich darauf, das zu stärken, was noch möglich ist, und unterstützen Sie die Person dabei, ihre Selbstständigkeit so weit wie möglich zu erhalten.

2. Partizipation: Alltagsintegration und Struktur: Integrieren Sie Pflegeaufgaben in den gewohnten Tagesablauf der pflegebedürftigen Person. Eine klare Struktur und regelmäßige Abläufe geben Orientierung und Sicherheit. Kleine Aufgaben im Haushalt fördern die Selbstständigkeit und stärken das Selbstwertgefühl.

3. Fördern statt Übernehmen: Unterstützen Sie die pflegebedürftige Person nur dort, wo es wirklich nötig ist, anstatt alles zu übernehmen. Ermutigen Sie sie, so viel wie möglich selbst zu erledigen, um ihre Selbstständigkeit zu fördern und ihr Leben aktiver zu gestalten. 

4. Ruhe und Geduld: Nehmen Sie sich Zeit und üben Sie sich Geduld, damit die pflegebedürftige Person Aufgaben in ihrem eigenen Tempo erledigen kann. Schaffen Sie eine ruhige, stressfreie Atmosphäre, in der sie sich sicher und unterstützt fühlt. Geduld fördert Vertrauen und stärkt die Selbstständigkeit.

Alles, was selbst noch getan werden kann, sollte auch selbst durchgeführt werden

Aktivierende Pflege Beispiele

In Ihrem Pflegealltag gibt es viele Möglichkeiten, die pflegebedürftige Person aktiv in den Pflegeprozess einzubeziehen. Dies betrifft nicht nur spezielle Aufgaben, sondern auch ganz alltägliche Tätigkeiten, bei denen die Beteiligung der betroffenen Person die Selbständigkeit fördert. Wichtige Bereiche, in denen Sie die pflegebedürftige Person aktiv einbeziehen können, sind zum Beispiel:

  • Bewegung: Unterstützung bei Mobilisationsübungen oder Spaziergängen, bei denen der oder die Betroffene selbst so viel wie möglich übernimmt.
    Ernährung: Der Betroffene kann aktiv an der Zubereitung von Mahlzeiten mitwirken. Zum Beispiel kann die pflegebedürftige Person das Waschen des Salates übernehmen oder auch das Brot selbständig schmieren.

  • Ernährung: Der Betroffene kann aktiv an der Zubereitung von Mahlzeiten mitwirken. Zum Beispiel kann die pflegebedürftige Person das Waschen des Salates übernehmen oder auch das Brot selbständig schmieren.

  • Haushaltsführung: Je nach Fähigkeit kann die pflegebedürftige Person bei alltäglichen Aufgaben wie dem Abräumen des Tisches, dem Falten von Wäsche oder dem Gießen von Pflanzen mitwirken.

Ein besonderer Bereich ist die aktivierende Körperpflege, bei der die pflegebedürftige Person in die Pflege einbezogen wird, um ihre Selbstständigkeit zu erhalten und zu fördern. Typische Situationen könnten hier sein:

Ankleiden und Auskleiden mit Anleitung: Die pflegebedürftige Person kann aktiv in die Auswahl der Kleidung einbezogen werden und selbständig versuchen, sich anzuziehen. Dabei wird sie von Ihnen mit einfachen Anleitungen unterstützt, zum Beispiel beim Anziehen von Hemden oder Hosen. Auch beim Auskleiden kann sie mithilfe von Anleitung bestimmte Schritte selbst durchführen, wie das Abstreifen von Kleidungsstücken, während Sie den Rest übernehmen. 

Haarpflege: Bei der Haarpflege kann die pflegebedürftige Person aktiv mithelfen, indem sie beispielsweise den Kamm oder die Bürste selbst hält und einfache Schritte übernimmt, wie das Kämmen von einzelnen Haarbereichen. Auch das Auftragen von Haarpflegeprodukten oder das Verteilen von Shampoo kann selbständig durchgeführt werden, während Sie bei schwierigeren Bereichen unterstützen. 

Auch bei der Körperpflege gilt: Was noch selbst getan werden kann, sollte nicht von der Pflegeperson übernommen werden
Förderung der Eigenaktivität während der Körperpflege: Anstatt die komplette Pflege zu übernehmen, werden in der aktivierenden Pflege einfache Aufgaben wie das Halten des Waschlappens oder das Auftragen von Creme der pflegebedürftigen Person selbst überlassen. So kann Ihre Angehörige oder Ihr Angehöriger eigenständig bestimmte Schritte übernehmen, wie das Waschen von Händen oder Gesicht, während Sie bei den restlichen Aufgaben unterstützend oder anleitend zur Seite stehen.

Aktivierende Pflege bei Demenz: Das Psychobiografische Pflegemodell nach Böhm als Grundlage

Die aktivierende Pflege bei Demenz orientiert sich am psychobiografischen Pflegemodell nach Prof. Erwin Böhm, das den Zugang zu Menschen mit Demenz über ihre Lebensgeschichte sucht. Wichtig ist, dass Sie als Pflegeperson die biografischen Hintergründe - also die Lebensgesschichte - Ihrer Angehörigen berücksichtigen, um deren Verhaltensweisen besser nachvollziehen zu können. Es geht nicht um spezielle Daten, sondern vielmehr um die individuellen Geschichten und Erlebnisse, die das Leben geprägt haben.

Aktivierende Pflege bei Demenz setzt genau dort an, wo Menschen mit Demenz oft das Bedürfnis haben, weiterhin gebraucht zu werden. Sie fördert die Wiedererlangung von Fähigkeiten und bietet emotionale Sicherheit. Pflegepersonen sollten auf die gewohnten Abläufe und Rituale der betroffenen Person eingehen, um Vertrauen und Vertrautheit zu schaffen. Durch dieses Verständnis können sie den Menschen anregen, alltägliche Aufgaben wie Aufstehen, Waschen oder Anziehen wieder selbstständig zu übernehmen. Besonderer Wert wird darauf gelegt, dass die pflegebedürftige Person in einer vertrauten und sicheren Umgebung lebt, die ihr ein Gefühl von Stabilität und Geborgenheit vermittelt. In diesem sicheren Rahmen kann sie ihre Selbstständigkeit schrittweise zurückgewinnen. Bekannte Morgenroutinen oder das Ankleiden nach gewohnten Abläufen erleichtern den Alltag und tragen dazu bei, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken.

Einfühlsame Beobachtung und die Orientierung an der Lebensgeschichte der pflegebedürftigen Person sind entscheidend für die aktivierende Pflege. Denken Sie daran, welche Gewohnheiten und Rituale früher eine Rolle spielten, um passend reagieren zu können und die Pflege individuell anzupassen. Die Förderung verbliebener Fähigkeiten und die Einbeziehung sozialer Interaktionen sowie Biografiearbeit sind wichtige Elemente, um das Wohlbefinden zu steigern und die Lebensqualität zu verbessern. Indem Sie die Person in Aktivitäten einbinden, die ihre Vergangenheit widerspiegeln, stärken Sie ihre Selbstständigkeit und das Gefühl, weiterhin gebraucht zu werden. Seien Sie geduldig und loben Sie auch kleine Fortschritte. Aktivierende Pflege bedeutet, gemeinsam neue Möglichkeiten zu entdecken und Schritt für Schritt ein Stück Selbstständigkeit zurückzugewinnen.

Rehabilitativ-aktivierende Pflege

 Die rehabilitativ-aktivierende Pflege unterstützt pflegebedürftige Menschen dabei, verlorene Fähigkeiten wiederzuerlangen oder bestehende Fähigkeiten zu erhalten. Im Unterschied zur rein aktivierenden Pflege, die vor allem die Selbstständigkeit im Alltag fördert, konzentriert sich die rehabilitativ-aktivierende Pflege stärker auf die Wiederherstellung von Fähigkeiten, die durch Krankheit, Unfall oder Alter beeinträchtigt wurden. 

Dies geschieht durch gezielte therapeutische Maßnahmen, oft in Zusammenarbeit mit Physiotherapeuten, Ergotherapeuten oder Logopäden. Ein Beispiel ist das Gehtraining nach einer Hüft- oder Knieoperation, bei dem die betroffene Person schrittweise ihre Mobilität zurückgewinnt.

Ziel ist es, die Selbstständigkeit der pflegebedürftigen Person zu steigern und ihre Lebensqualität nachhaltig zu verbessern. Auch in dieser Pflegeform steht die Aktivierung im Mittelpunkt – durch gezielte Maßnahmen wird die Person unterstützt, ihre physischen, kognitiven und sozialen Fähigkeiten wiederzuerlangen und so ihre Selbstständigkeit Schritt für Schritt zurückzugewinnen.
Physiotherapie ist ein großer Bestandteil der rehabilitativ-aktivierenden Pflege

Grenzen der Aktivierenden Pflege

Trotz der vielen positiven Ansätze der aktivierenden Pflege stößt sie auch an ihre Grenzen. Besonders bei fortgeschrittenen Krankheiten, schweren Behinderungen oder kognitiven Einschränkungen kann die aktivierende Pflege auf praktische Hindernisse stoßen. Manche Aufgaben können dauerhaft nicht mehr durchgeführt werden, wodurch die Umsetzung des Pflegekonzepts erschwert wird. Ein häufiges Problem ist auch der Mangel an Motivation oder Antrieb. Denn Menschen, die aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation wenig Hoffnung auf Besserung haben, sind oft wenig bereit, aktiv mitzuarbeiten. In solchen Fällen ist es entscheidend, Geduld zu zeigen und die pflegebedürftige Person mit kleinen, erreichbaren Zielen zu motivieren. Fehlt jedoch der Wille zur Mitarbeit, kann die Wirksamkeit der aktivierenden Pflege stark eingeschränkt sein.

Ein weiteres Hindernis in der häuslichen Pflege ist der Zeitmangel. Aktivierende Pflege erfordert kontinuierliche Zuwendung und Zeit, die im häuslichen Umfeld oft schwer zu realisieren sind. Sie als Pflegeperson sind häufig mit einem hohen Arbeitsaufwand konfrontiert, der durch zusätzliche Verantwortung oder berufliche Belastungen noch verstärkt wird, sodass die Umsetzung des Konzepts an ihre Grenzen stößt.
Zudem kann ein Mangel an Erfahrung zu Problemen führen, da Laien oft nicht in der Lage sind, gezielt und ausreichend zu aktivieren, weil ihnen das notwendige Fachwissen fehlt.

Fazit: Der positive Nutzen der aktivierenden Pflege für Pflegebedürftige und Angehörige

Die aktivierende Pflege spielt auch im häuslichen Umfeld eine entscheidende Rolle. Sie bietet pflegenden Angehörigen einen klaren Ansatz, ihre Liebsten bestmöglich zu unterstützen. Das Einbeziehen vorhandener Ressourcen im Alltag tragen dazu bei, die Fähigkeiten der pflegebedürftigen Person zu aktivieren und ihre Selbstständigkeit zu fördern. 

Auch Sie als Pflegeperson profitieren von diesem Ansatz. Zwar erfordert es Zeit, Ihren Angehörigen aktiv in alltägliche Aufgaben einzubeziehen, doch gleichzeitig tun Sie ihm etwas Gutes und stärken seine Selbstständigkeit. Und das Gute ist: Je mehr er oder sie selbst erledigen kann, desto weniger müssen Sie übernehmen – was Ihnen langfristig ebenfalls Entlastung bringt.


💜-liche Grüße 

Aktivierende Pflege: Häufig gestellte Fragen

Was ist aktivierende Pflege?

Aktivierende Pflege fördert die Selbstständigkeit pflegebedürftiger Menschen, indem sie sie dazu ermutigt, alltägliche Aufgaben so weit wie möglich selbstständig zu übernehmen.

Wie unterscheidet sich aktivierende Pflege von rehabilitativer Pflege?

Während die aktivierende Pflege den Erhalt und die Förderung bestehender Fähigkeiten unterstützt, konzentriert sich die rehabilitative Pflege auf die Wiederherstellung verloren gegangener Fähigkeiten durch gezieltes Training. Bei beiden Pflegeformen steht jedoch die Aktivierung im Mittelpunkt, um die Selbstständigkeit der pflegebedürftigen Person zu fördern.

In welchen Bereichen kann aktivierende Pflege angewendet werden?

Aktivierende Pflege lässt sich in vielen Bereichen des Alltags integrieren, wie zum Beispiel bei der Mobilisation, der Haushaltsführung oder der Körperpflege. Indem die Person dazu ermutigt wird, ihre Ressourcen zu aktivieren, wird ihre Selbstständigkeit gefördert und es wird dazu beigetragen, sowohl die physischen als auch die kognitiven Fähigkeiten zu erhalten oder zu verbessern.

Welche Vorteile bietet aktivierende Pflege für Sie als Pflegeperson?

Aktivierende Pflege bietet Ihnen als Pflegeperson die Möglichkeit, die Belastung zu reduzieren, indem Sie die pflegebedürftige Person dazu anregen, Aufgaben selbstständig zu erledigen. Gleichzeitig stärkt der Ansatz die Selbstständigkeit der pflegebedürftigen Person, was die Lebensqualität für beide Seiten verbessert.
Zur Autorin

Isabell Jungesblut

EXAMINIERTE GESUNDHEITS- UND KRANKENPFLEGERIN
Als Expertin für Gesundheits- und Krankenpflege bringt Isabell Jungesblut umfangreiche Erfahrungen aus der Akutversorgung aber auch aus der vollstationären Langzeitversorgung mit. Hier im Pflege ABC teilt sie ihr umfangreiches Wissen mit Ihnen, um die Pflege für Sie zu erleichtern.
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