Pflegende Mitarbeitende benötigen Unterstützung: Das können Unternehmen tun

Isabell Jungesblut

Pflegende Mitarbeitende benötigen Unterstützung: Das können Unternehmen tun

Isabell Jungesblut
In Deutschland ist die private Pflege längst kein Randthema mehr. Zwischen 4 bis 5 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter übernehmen regelmäßig die Pflege eines Angehörigen – oft zusätzlich zu einem ganz normalen Arbeitstag. Rund zwei Drittel dieser Personen stehen mitten im Berufsleben. Sie tragen damit täglich eine Doppelbelastung, die emotional, organisatorisch und zeitlich enorm anspruchsvoll sein kann.

Für viele bedeutet das: Sie reduzieren ihre Arbeitszeit, wechseln in Teilzeit oder steigen im Extremfall ganz aus dem Beruf aus. Für Unternehmen sind die Folgen deutlich spürbar: steigende Fehlzeiten, sinkende Leistungsfähigkeit und der Verlust von Erfahrung und Fachwissen.
Angesichts des demografischen Wandels und der stetig wachsenden Zahl pflegebedürftiger Menschen wird das Thema weiter an Bedeutung gewinnen. Unternehmen kommen daher nicht mehr daran vorbei, die Vereinbarkeit von „Pflege und Beruf“ bewusst mitzudenken – nicht nur aus sozialer Verantwortung, sondern als entscheidenden strategischen Erfolgsfaktor.

Warum Unternehmen handeln sollten

Wenn Mitarbeitende einen Angehörigen pflegen, wirkt sich das immer auch auf ihren Arbeitsalltag aus. Pflegesituationen entstehen häufig unerwartet – etwa nach einem Krankenhausaufenthalt oder einer plötzlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands. In solchen Momenten müssen Beschäftigte kurzfristig reagieren, Termine umplanen oder spontan freinehmen. Das kann die gesamte Arbeitsorganisation ins Wanken bringen.

Bleibt Unterstützung am Arbeitsplatz aus, geraten viele Betroffene schnell in einen belastenden Konflikt: Sie versuchen, berufliche Aufgaben und private Pflege gleichzeitig zu bewältigen. Die Folgen zeigen sich oft deutlich – Zeitdruck, Erschöpfung, Konzentrationsschwierigkeiten und langfristig ein Rückgang der Leistungsfähigkeit. Für Unternehmen bedeutet das höhere Fehlzeiten, zusätzlichen Koordinationsaufwand und eine steigende Fluktuation.

Eine pflegesensible Unternehmenskultur kann genau hier ansetzen. Unternehmen, die das Thema aktiv aufgreifen und strukturell verankern, profitieren von stabilen Teams, mehr Motivation, geringeren Rekrutierungs- und Einarbeitungskosten und einem stärkeren Arbeitgeberimage.

Kurz gesagt: Wer Pflege als Bestandteil eines modernen betrieblichen Gesundheits- und Vereinbarkeitsmanagements (BGM) versteht, schafft Entlastung für Mitarbeitende – und stärkt zugleich das Unternehmen als Ganzes.

Rechtliche Rahmenbedingungen: Das sollten Arbeitgeber wissen

Damit Unternehmen wirksam unterstützen können, müssen sie die gesetzlichen Grundlagen kennen – und wissen, auf welche Leistungen Mitarbeitende im Pflegefall Anspruch haben.
Rund um die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf gibt es verschiedene gesetzliche Möglichkeiten, die Mitarbeitende im Pflegefall nutzen können:

  1. Kurzzeitige Arbeitsverhinderung (§ 2 PflegeZG)
    Wenn plötzlich ein akuter Pflegefall eintritt, dürfen Beschäftigte bis zu zehn Arbeitstage sofort der Arbeit fernbleiben, um die Versorgung zu organisieren. Dieser Anspruch gilt für alle Beschäftigten – unabhängig von der Betriebsgröße. Für diese Zeit können sie Pflegeunterstützungsgeld als Lohnersatz erhalten.

  2. Pflegeunterstützungsgeld (§ 44a SGB XI)
    Das Pflegeunterstützungsgeld ist eine Lohnersatzleistung für bis zu zehn Tage der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung. In der Regel werden bis zu 90 % des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts übernommen. Der Antrag wird bei der Pflegekasse der pflegebedürftigen Person gestellt. 

  3. Pflegezeit (§ 3 PflegeZG)
    Wer einen nahen Angehörigen längerfristig pflegt, kann sich für bis zu sechs Monate vollständig oder teilweise von der Arbeit freistellen lassen. Die Pflegezeit gilt für Betriebe mit mindestens 15 Beschäftigten. Während dieser Zeit besteht kein regulärer Lohnanspruch, es kann jedoch ein zinsloses Darlehen beim BAFzA (Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben) beantragt werden.

  4. Familienpflegezeit (§ 2 FPfZG)
    Die Familienpflegezeit ermöglicht eine längere Phase der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf: Bis zu 24 Monate, bei einer Mindestarbeitszeit von 15 Wochenstunden. Sie gilt für Unternehmen mit mindestens 25 Mitarbeitenden. Auch hier kann die finanzielle Lücke über ein zinsloses Darlehen beim BAFzA abgefedert werden.

  5. Ergänzende Unterstützungsangebote:
    Pflegeberatung, Beratungseinsätze & PflegekurseNeben Freistellungen stehen pflegenden Mitarbeitenden mehrere kostenfreie Leistungen zur Verfügung, die Unternehmen unkompliziert sichtbar machen können:

Pflegeberatung (§ 7a SGB XI)
Pflegebedürftige und ihre Angehörigen haben Anspruch auf eine kostenlose, umfassende Pflegeberatung durch die Pflegekasse. Sie unterstützt bei der Versorgungsplanung, der Auswahl passender Leistungen und Hilfsmittel sowie bei allen Anträgen. Die Pflegekasse muss innerhalb von zwei Wochen nach Antragstellung einen Beratungstermin anbieten oder einen Beratungsgutschein ausstellen. Der Anspruch gilt für alle Pflegegrade – und bereits ab dem Moment, in dem ein Pflegeantrag gestellt wurde.

Beratungseinsätze bei häuslicher Pflege (§ 37.3 SGB XI)
Wer Pflegegeld bezieht, muss je nach Pflegegrad regelmäßig einen Beratungseinsatz abrufen (PG 2–3 halbjährlich, PG 4–5 aktuell noch vierteljährlich; PG 1 freiwillig). Die verpflichtenden Beratungseinsätze sollen bei den Pflegegraden 4 und 5 ab voraussichtlich 1. Januar 2026 nur noch alle sechs Monate erforderlich sein. Bis zum endgültigen Inkrafttreten bleibt jedoch noch die vierteljährliche Pflicht bestehen. Diese Termine unterstützen Angehörige dabei, die häusliche Pflege sicher und entlastend zu gestalten.

Pflegekurse für Angehörige (§ 45 SGB XI)
Pflegende Angehörige und ehrenamtlich Pflegende können kostenfrei an Pflegekursen teilnehmen – online, vor Ort oder als individuelle Schulung zu Hause. Für gesetzlich Versicherte übernehmen die Pflegekassen die Kosten vollständig. Privatversicherte können die Kurse ebenfalls nutzen. Die Kostenübernahme kann je nach privater Pflegeversicherung variieren und sollte vorab geklärt werden.

Praxisnah, verständlich und flexibel nutzbar  – ideal für Mitarbeitende, die neben dem Beruf Angehörige unterstützen.

Für Unternehmen bedeutet das: Diese gesetzlichen Leistungen können aktiv kommuniziert und sichtbar gemacht werden – im Intranet, in Führungsgesprächen oder im Rahmen eines pflegesensiblen BGM. Sie verursachen keine Kosten für das Unternehmen, können aber die Situation pflegender Mitarbeitender massiv entlasten. Für Arbeitgeber entstehen dabei keine direkten Kosten – für pflegende Mitarbeitende hingegen ein spürbarer Gewinn an Orientierung, Sicherheit und Entlastung.

Was Unternehmen konkret tun können – praktische Ansatzpunkte

Erschoepfte Mitarbeiterin
Bevor Unternehmen konkrete Maßnahmen umsetzen, hilft ein Blick auf die Praxis: Pflegebedarf entsteht häufig bevor ein Pflegegrad offiziell anerkannt ist, und Mitarbeitende befinden sich oft schon früh in einer belastenden Situation. Viele Beschäftigte befinden sich bereits in dieser Phase in einer angespannten Situation – sie organisieren Arzttermine, übernehmen Unterstützung im Haushalt oder koordinieren alltägliche Abläufe. Genau hier hilft es, wenn der Arbeitgeber klare, niedrigschwellige Prozesse anbietet.

Zwar müssen Freistellungsansprüche angemeldet und teils mit einer Bestätigung des Pflegebedarfs nachgewiesen werden, doch Mitarbeitende profitieren enorm davon, wenn Abläufe transparent sind und eine offene Kommunikation möglich ist.

Wichtig ist außerdem: Das Thema betrifft Unternehmen jeder Größe – auch kleine Teams ohne große Personalabteilungen. Umso wertvoller sind einfache Strukturen, wie feste Ansprechpersonen, gut aufbereitete Informationen oder klare interne Wege. Unternehmen, die hier proaktiv handeln, gehen nicht nur über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinaus, sondern schaffen eine pflegesensible Kultur, die Mitarbeitende spürbar entlastet und das Unternehmen langfristig stärkt.

Im Folgenden finden Sie konkrete Vorschläge, wie ein Unternehmen ihre Mitarbeitenden, die Angehörige pflegen, unterstützen können.

1. Bewusstsein schaffen und  interne Strukturen aufbauen

  • Sensibilisieren Sie Führungskräfte und Mitarbeitende dafür, dass Pflege viele Menschen betrifft und Unterstützung in dieser Phase ganz selbstverständlich ist. Eine offene, wertschätzende Kultur ermutigt Betroffene, sich zu melden – statt ihre Situation still und alleine zu bewältigen.
  • Benennen Sie eine feste Ansprechperson oder einen „Pflegelotsen im Betrieb“, der über Rechte, Leistungen und Unterstützungsangebote informiert und Mitarbeitende begleitet.
  • Stellen Sie zentrale Informationen bereit, zum Beispiel im Intranet: gesetzliche Ansprüche, externe Beratungsstellen, interne Prozesse oder Hinweise auf Pflegekurse.
  • Fördern Sie interne Vernetzung – etwa über Peer-Gruppen, Austauschformate oder Stammtische. Oft hilft es Betroffenen schon zu sehen: „Ich bin nicht allein.“
  • Integrieren Sie Pflegethemen in Ihr betriebliches Gesundheits- und Vereinbarkeitsmanagement – etwa durch regelmäßige Infos, Leitlinien in Mitarbeitergesprächen oder Awareness-Aktionen. Ein „Tag der Pflege” im Unternehmen mit Vorträgen oder externen Experten kann zusätzlich Sichtbarkeit schaffen und das Thema enttabuisieren.
  • Erweitern Sie Ihre internen Strukturen durch externe Expertise. Pflegestützpunkte, ambulante Dienste oder spezielle Angebote wie ein „Pflegekoffer für Unternehmen“ können Mitarbeitende gezielt beraten und entlasten – ohne zusätzliche Kosten für den Betrieb

    2. Flexible Arbeitsmodelle ermöglichen
  • Prüfen Sie Arbeitszeit- und Arbeitsortmodelle: Home-Office, flexible Start- und Endzeiten, geplante oder spontane Auszeiten.
  • Passen Sie Arbeitsaufgaben und Rollen so an, dass Mitarbeitende in der Pflegephase nicht überfordert sind – zum Beispiel weniger Dienstreisen, keine Schichten, wenn möglich.
  • Denken Sie mit: Kurzfristige Freistellungen oder Anpassungen können helfen, bevor Mitarbeitende in die Arbeitszeitreduktion oder gar den Austritt gehen.

    3. Entlastungsmöglichkeiten sichtbar machen und freiwillig unterstützen
  • Machen Sie pflegende Mitarbeitende auf Entlastungsangebote aufmerksam – etwa auf haushaltsnahe Dienstleistungen, Tages- oder Kurzzeitpflege, technische Hilfsmittel oder regionale Unterstützungsangebote. Schon einfache Checklisten oder Linksammlungen helfen Beschäftigten, schneller die passende Hilfe zu finden.
  • Prüfen Sie außerdem, ob freiwillige Zuschüsse infrage kommen: Bestimmte kurzfristige Unterstützungsleistungen können – unter den Voraussetzungen des § 3 Nr. 34a EStG – bis zu 600 Euro pro Jahr steuerfrei bezuschusst werden. Dazu können in Einzelfällen auch alltagsnahe Dienstleistungen zählen. Informieren Sie sich vorab über die genauen steuerlichen Rahmenbedingungen, da die Befreiung nur in klar definierten Situationen möglich ist.
Solche kleinen, unkomplizierten Maßnahmen bringen im Alltag viel Entlastung und zeigen gleichzeitig, dass Pflegeverantwortung im Unternehmen gesehen und ernst genommen wird.

Echter Mehrwert für Unternehmen – ohne großen Kostenaufwand

Viele Unternehmen zögern zunächst, weil sie hohe Kosten oder zusätzlichen Aufwand befürchten. Doch die meisten Maßnahmen zur Unterstützung pflegender Mitarbeitender sind einfach umsetzbar und kommen ohne große Investitionen aus: Ein Beitrag im Intranet, ein kurzer Informationsimpuls oder die Benennung einer internen Ansprechperson können bereits viel bewirken.

Gleichzeitig entsteht für Unternehmen ein spürbarer Mehrwert: Wer pflegende Mitarbeitende gezielt unterstützt, reduziert Fehlzeiten, stärkt Motivation und bindet erfahrene Fachkräfte langfristig. Das senkt Kosten für Rekrutierung, Einarbeitung und den Verlust von Wissen.

Zusätzlich gibt es bestehende Netzwerke und Programme, wie etwa „Erfolgsfaktor Familie“ oder regionale Wirtschaftsförderungen, die Unternehmen begleiten. Sie müssen daher nicht bei null starten, sondern können auf erprobte Angebote und Praxiserfahrungen zurückgreifen.
Ein Mitarbeiter-Team

Fazit: Pflege und Beruf gemeinsam denken

Der Begriff „Pflege und Beruf vereinbaren“ bringt auf den Punkt, worum es in diesem Thema wirklich geht: Mitarbeitende sollten nicht zwischen familiärer Fürsorge und beruflichem Engagement hin- und hergerissen sein. Eine Unternehmenskultur, die beidem Raum gibt, stärkt Menschen – und macht Unternehmen widerstandsfähiger.

Eine wichtige Rolle kann dabei ein interner Pflegelotse spielen: als verlässliche Ansprechperson, die Orientierung bietet, Wissen zugänglich macht und bei der Verbindung zu externen Unterstützungsangeboten hilft. So entsteht ein niedrigschwelliger Zugang zu Informationen in einer Lebensphase, die für viele Mitarbeitende unvorhersehbar und herausfordernd ist.

Wenn Pflege zudem als Bestandteil eines ganzheitlichen betrieblichen Gesundheits- und Vereinbarkeitsmanagements verstanden wird, wird das Thema nicht länger isoliert betrachtet, sondern als zentraler Baustein von Mitarbeitendenwohl, Führungskultur und Arbeitgeberattraktivität. Unternehmen profitieren davon zu gleichen Teilen wie ihre Beschäftigten – durch mehr Stabilität, Motivation und Loyalität.



💜-liche Grüße 

Das können Unternehmen tun: Häufig gestellte Fragen

Wer hat Anspruch auf Pflegezeit?

Pflegezeit können Beschäftigte nehmen, die einen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen. Der Anspruch gilt in Betrieben mit mindestens 15 Mitarbeitenden und ermöglicht eine vollständige oder teilweise Freistellung für bis zu 6 Monate.

Was ist der Unterschied zwischen Pflegezeit und Familienpflegezeit?

Die Pflegezeit ermöglicht eine kurzfristige oder mittelfristige Freistellung bis zu 6 Monaten.
Die Familienpflegezeit erlaubt eine längere Pflegephase bis zu 24 Monaten, jedoch mit einer Mindestarbeitszeit von 15 Stunden/Woche. Sie gilt in Betrieben ab 25 Mitarbeitenden.

Gibt es finanzielle Unterstützung für pflegende Beschäftigte?

Ja. Im Akutfall können Mitarbeitende die 10-tägige kurzzeitige Arbeitsverhinderung nutzen und erhalten dafür Pflegeunterstützungsgeld – bis zu 90 % des Nettoentgelts. Für längere Freistellungen kann ein zinsloses Darlehen beim BAFzA beantragt werden.

Was ist eine Pflegeberatung nach § 7a SGB XI – und wer hat Anspruch?

Pflegebedürftige und ihre Angehörigen haben Anspruch auf eine kostenlose, umfassende Pflegeberatung – inklusive Versorgungsplanung, Hilfsmittelberatung und Unterstützung beim Antragswesen. Die Beratung muss innerhalb von 2 Wochen nach Antragstellung erfolgen.

Sind Pflegekurse für Angehörige wirklich kostenlos?

Ja. Pflegekurse nach §45 SGB XI – ob online, vor Ort oder als individuelle Schulung zu Hause – werden für gesetzlich Versicherte vollständig von den Pflegekassen übernommen. Unternehmen können diese Angebote im Rahmen ihres BGM sichtbar machen, ohne zusätzliche Kosten.
Isabell Jungesblut
Zur Autorin

Isabell Jungesblut

EXAMINIERTE GESUNDHEITS- UND KRANKENPFLEGERIN
Als Expertin für Gesundheits- und Krankenpflege bringt Isabell Jungesblut umfangreiche Erfahrungen aus der Akutversorgung aber auch aus der vollstationären Langzeitversorgung mit. Hier im Pflege ABC teilt sie ihr umfangreiches Wissen mit Ihnen, um die Pflege für Sie zu erleichtern.
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